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Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Produktion, des Austauschs, der Verbreitung und Aneignung von Wissen und dessen technologische wie kulturelle Anwendung bilden die Grundlage der Wissenschaftspolitik. Das entfaltete Wissen über die Welt, die Natur, die Gesellschaft und den Menschen prägt zuerst und vor allem das jeweils herrschende Welt- und Menschenbild und damit die Kultur der Gesellschaft.
Zugleich wirkt die Kultur der Welt- und Selbstwahrnehmung auf die Methoden und das Selbstverständnis der Wissenschaften selbst ein. Darin liegen sowohl Chancen als auch Gefahren, weil die Wissenschaften trotz und auch wegen ihrer „Objektivität“ den Menschen und die Gesellschaft einerseits rational orientieren, andererseits aber auch aus dem Auge verlieren und desorientieren können. „Objektivität“ ist diesbezüglich ein nicht hinreichendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit.
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Erst im Verhältnis zu den Subjekten der Gesellschaft, welche auf bestimmte Art und Weise und mit unterschiedlichen Konsequenzen die Ergebnisse der Wissenschaft im praktischen oder ideellen Sinne – also immer auch subjektiv – anwenden, entscheidet sich letztlich die Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse und Forschungen. Diese zu sichernde Qualität der Wissenschaft basiert letztlich auch auf der persönlichen Verantwortung und die kulturelle Orientierung der Wissenschaftler selbst.
Die expotenzielle Wissensexplosion der letzten 50 Jahrzehnte beruht einerseits auf dem rasanten Fortschritt der Forschungstechnologien, auf der inter- und transdisziplinären Verknüpfung von Disziplinen als auch auf einer enormen Quantifizierung sowie einer beschleunigten technischen Anwendung und ökonomischen Verwertung von Wissensproduktion. Letztere trägt heute allerdings einen stark selbstreferenziellen und pragmatischen Charakter, der mit Verwertungs- sowie Konkurrenzparadigmen der globalen Monopol- und Geldwirtschaft korrespondiert.
Die derzeit immer noch herrschende Aufspaltung von Natur- und Geisteswissenschaften folgt dem alten Dualismus zwischen Geist und Materie, wobei revolutionäre Erkenntnisse besonders in der Physik und in vielen anderen Disziplinen zunehmend auf eine integrale transdisziplinäre Forschung zielen.
Kommentar
Auffällig ist, wie wenig Einfluss die so genannten „Sozial- und Geisteswissenschaften“ bezüglich der Reflexion und Entwicklung von gesellschaftspolitischen Prozessen und damit auch das Selbstbewusstsein der Politik haben. Es gibt kaum tragfähige wissenschaftliche Theorien, Orientierungen und Konzepte, welche den Umbrüchen und Krisen in der Wirtschaft, der Bildung, der Kommunikation, Kultur und der Politik selbst gerecht werden.
Auch werden Bahn brechende Erkenntnisse der „Naturwissenschaften“ und die Entwicklung der Medientechnologien bisher zu wenig in gesellschafts- und humanwissenschaftliche Forschungen und Theorien integriert. Es wird lediglich auf gesellschaftliche Krisen reagiert, indem man diese mehr oder weniger statistisch be- und fortschreibt (vgl. die soziologische Erhebung zu demografischen Entwicklungen), ohne dabei Alternativen zu herauszuarbeiten. Dies wird durch immer noch vorherrschende Paradigmen des Materialismus, Objektivismus und Pragmatismus und damit korrespondierende ideologische Erkenntnisschranken verursacht.
Der rasante Übergang von der Dominanz der „harten“ Produktionstechnologien zu einer Dominanz der „weichen“ Kommunikations- und Wahrnehmungstechnologien wird auch die Wissenschaft vom Menschen und der Gesellschaft grundlegend verändern. Damit erhält Wissenschaftspolitik einen anderen Stellenwert, der im Rahmen des Virtuellen Parlaments diskutiert und durch Gestaltungsvorschläge befördert werden soll.
Klaus Nicolai
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