Erwerbsarbeit überwinden - gesellschaftliche Arbeitsteilung verhandeln!
Aus meiner Sicht ist "Arbeit" als Politikfeld schwer abzugrenzen, in fast allen spielt aber sowohl die Erwerbsarbeit als auch die andere gesellschaftlich notwendige Arbeit eine entscheidende Rolle. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung entwickelte die zweite Frauenbewegung in der Bundesrepublik Modelle, die auch die Reproduktions- und Pflegearbeit, die ungleich und ungerecht auf die Geschlechter verteilt waren und häufig sind, als gesellschaftlich notwendig und anrechenbar beinhalten sollten.
Mit der Analyse des Charakters der Erwerbsarbeit lassen sich aktuelle Entwicklungen der Gesellschaft beschreiben und ebenso Zielvorstellungen des Gemeinwesens für die Zukunft diskutieren.
Die historische Bedingtheit der Erwerbsarbeit
In der Ablösung feudaler Gesellschaftsstrukturen entstand die Erwerbsarbeit im Zuge der Industrialisierung, mit der Herausbildung der Arbeiterbewegug und dem Zusammenbrechen hergebrachter Integrationsstrukturen wurde die "Arbeit" auch zum nahezu wichtigsten Identitätsfaktor. Dass der Mensch "arbeiten müsse" um "Essen zu dürfen" und Gott zu gefallen hatte freilich auch der Protestantismus geprägt und ebnete so den Aufstieg der Erwerbsarbeit.
Nun befinden wir uns nun im Übergang zur postindustriellen Gesellschaft: der Stellenwert theoretischen Wissens und der Dienstleistungswirtschaft hat gegenüber dem Anteil produzierender Wirtschaft die Oberhand gewonnen (def. nach Bell 1973). Natürlich wirkt sich dies auch auf die Sozialstruktur aus. Mit dem Überkommen der industriell geprägten Gesellschaft verändert sich auch die Funktion der Erwerbsarbeit
Erwerbsarbeit als Ausschlussinstrument
Erbwerbsarbeit ist heute zum Ausschluss- und sogar Erpressungsinstrument großer Teile der Bevölkerung geworden. Die gestiegene Produktivität und Effektivierung hatte eine geringere Menge an herkömmlicher Erwerbsarbeit zur Folge. Die Sockelarbeitslosigkeit steigt. Da aber alle politischen Regelungen von einer Verknüpfung von Existenz und Arbeit ausgehen, bedeutet dies auch einen sozialen Ausschluss der Betroffenen: Rentenversicherung, Krankenversicherung, Einbindung und Lebensunterhalt: all dies wird über die Erwerbsarbeit "verteilt", Hunderttausende wollen einer Erwerbsarbeit nachgehen, finden aber keinen Platz mehr im System. Gleichzeitig übt die Angst vor dem sozialen Ausschluss und das Bestehen dieses Heers der Arbeitslosen einen immensen Druck auf die aus, die sich noch in Arbeitsverhältnissen befinden. Sie sollen zu allen Bedingungen bei immer schlechterer Entlohnung zum Verkauf ihrer Arbeitskraft bereit sein. Reguläre Arbeitsplätze werden, auch mithilfe der technischen Qualifizierung, in den Niedriglohnsektor ausgelagert. Erwerbslose arbeiten in öffentlichen Programmen wieder für niedrigste Entlohnung und leben weiter auf Hartz IV-Niveau. Aber es gibt auch die Entwicklung sich weiter qualifizierender, individueller und kollektiver Arbeitsprozesse - allerdings auch für fast gar kein Geld.
Gesellschaftlich notwendige Arbeit
Gesellschaftlich notwendige Arbeit ist weit mehr, als gewinnorientierte Unternehmungen in Erwerbsarbeit umzusetzen bereit oder in der Lage sind. Zielstellungen der Gesellschaft und jedes Einzelnen dürfen eben nicht vor allem von Gewinninteressen pivater Unternehmer/innen, von Banken und Aktiengesellschaften bestimmt werden - sondern auch die gesellschaftlich notwendige Arbeit den Bedürfnissen der Allgemeinheit und der Einzelnen entsprechen. Aus meiner Sicht sollte viel stärker "soziale Arbeit" für das Miteinander der Generationen, die Betätigung und Entfaltung aller BürgerInnen nicht kommerziell öffentlich gefördert werden.
Um der Erwerbsarbeit ihr Repressionspotenzial zu nehmen, ist es nötig, mit der Durchsetzung eines ökonomischen Grundrechts aller BürgerInnen diesen die Abhängigkeit zu nehmen. Veränderungen am Arbeitsmarkt, für die diese nichts können, schlagen damit nicht sofort auf die nackte Existenz und das Selbstverständnis eines Menschen durch und ArbeitnehmerInnen werden in eine weitaus bessere Verhandlungsposition versetzt. Dafür bedarf es einer ausreichenden, bedarfsunabhängigen - weil dadurch nämlich prüfungsunabhängigen - Grundsicherung für die BürgerInnen. Die Mitwirkung der BürgerInnen bei der
Definition von Zielstellungen in der Ökonomie muss wachsen können.
Denn es steht außer Frage, dass die meisten Menschen sich über ihre privaten Zusammenhänge hinaus in Austausch begeben und tätig sein wollen. Das Modell "Erwerbsarbeit" steht der Ausübung einer guten, honorierten und persönlich befriedigenden Arbeit im Weg - und wird wohl eines Tages auch der Geschichte angehören.
31. März 10, 16:40